Nicht jeder Song entwickelt die gleiche Kraft, das Qualitätsniveau bleibt auch nicht durchweg auf dem gleichen Level, aber "Chinese Democracy" rockt definitiv die Hütte.
Der Titel- und Einstiegstrack bestimmt durch einen schön-satten Bass, richtig laut aufgedreht erinnert er ein bisschen an Godsmack (die ich ja auch immer mochte). Im übrigen auch einer der wenigen Songs, in denen Axl Rose mit "normaler" Stimme singt. Durch die Bank irritierend finde ich nämlich an der Platte, dass Rose sehr häufig in den höheren Tönen unterwegs ist und dabei manchmal wie ein Mädchen klingt. Das manifestiert sich dann in Track 2 "Shackler's Revenge", dessen Refrain ein wenig wirkt, als hätte Trent Reznor mit den Fraggles und der Allwissenden Müllhalde einen Song aufgenommen. Dieses Teil geht dann zum letzten Drittel hin gar nicht mehr - einer der zwei Totalausfälle auf "Chinese Democracy" für mich.
Dafür hat sich nach dreimaligem Durchhören der Scheibe Track 3 "Better" zu einem meiner absoluten Lieblingssongs gemausert. In den ersten Anfangssekunden denkt man noch "huch, was ist das", dann geht's aber rund zur Sache und das Möhrenraspeln blieb liegen, weil ich unbedingt erstmal durch die Küche tanzen musste *lach*. Ja, es sind nicht mehr die gleichen Musiker, aber Amateure hat sich Rose da auch nicht gerade ins Boot geholt. Nach wie vor beeindruckt mich sein Songwriting, schon damals fand ich seine Texte lesenswert, das hat sich glücklicherweise nicht geändert. Der Hang zu bombastischen Arrangements und Melodien, die sich unauslöschbar ins Hirn brennen, ist ihm auch geblieben. Das mag an manchen Stellen etwas altmodisch anmuten - gerade wenn es in Richtung ruhigere Songs geht, die beinahe schmalztriefend daher kommen. Ein Titel wie "November Rain" damals ist heute einfach nicht mehr zeitgemäß. Sowas findet sich auf "Chinese Democracy" zweimal - Track 4 "Street of Dreams", der mich jedoch nicht so überzeugen kann und Track 13 "This I Love", der zu meinem zweiten Lieblingstitel avancierte. Track 5 "If The World" fängt ein wenig orientalisch an und mausert sich dann zum absoluten Power-Pop Song, dessen Rhythmus in die Hüften geht. Ein Titel, den ich tatsächlich nur als "elegant" beschreiben kann, wunderschönes Stück. Track 6 "There Was A Time" könnte man als bitteren Blick zurück in die Vergangenheit deuten, zugleich ist dies auch der Song auf dem Album, de noch am ehesten an die "Use Your Illusion" Zeit erinnert. Hier ertönt so ziemlich alles, was man an Instrumenten kennt, trotzdem bleibt kein Musikmus übrig, sondern ein perfekt arrangierter Titel.
"Catcher In The Rye" zählt für mich zu den Füllstücken der Scheibe, außerdem möchte ich Axl Rose nicht "lalala" singen hören *lach*. Sorry. Nicht wirklich schlecht, hätte aber auch B-Seite gereicht.
Track 8 "Scraped" geht richtig gut ab. Hochgeschwindigkeit, kräftiger Bass, richtiges Gitarrenbrett und schöne Textzeilen wie "Sometimes I feel like my life's a catastrophe - Can't understand why it seems like it has to be... Don't you try to stop us now (I would have never made it so far)..." Wenn das 'ne Kampfansage ist, dann sei ihm der Sieg gegönnt.
Danach jedoch "Riad N' Beduins" - finde ich nur nervig, der zweite Totalausfall. Hier muss ich beim nächsten Hören weiterskippen. Track 10 "Sorry" gefällt mir dafür wieder ausnehmend gut, besonders der Leadguitar-Part klingt schön bekannt, ein bisschen Rudolf-Schenker-Gedenk-Gitarre. Schönes ruhigeres Stück, wieder mit einem guten Text versehen, altmodisch und zu Herzen gehend.
"IRS" - naja, oookay. Kein Bringer, aber es gibt Schlimmeres. Das muss man überhaupt erwähnen, wenn Rose & Co. hier enttäuschen, dann auf verdammt hohem Niveau. Ein wenig unfair ist das natürlich schon, da kommt nach zig Jahren ein neues Album raus und man misst es automatisch an den alten Meilensteinen. Wenn eine neue Band ohne diese Historie solche Songs rausbringen würde, wäre man vermutlich voll des Lobes. Track 12 "Madagascar" und Track 14 "Prostitute" gefallen mir beide sehr gut, sind für meine Begriffe etwas zu lang, weil sie dann zum Ende hin leicht nervig werden. Die Länge ist dafür bei "This I Love" perfekt wie überhaupt alles an dem Song, der mir leicht geklaut vorkommt, zumindest war mir die Melodie sofort sehr vertraut. Aber das ist so ein "Hach"-Titel, Kerzen an und sich freuen, dass Axl irgendwie immer noch klingt wie Axl (und wieder die Rudolf-Schenker-Gedenk-Gitarre, hat Solist Robin Finck alte Scorpions Songs gehört zwischendurch?).
Ach, Alex, dieses Album hätte dir gefallen!! Ob du die Titel wohl gehört hast? Laut genug hab ich sie ja gespielt! Es hätte sicherlich nicht jahrelang dauern müssen bis zum Erscheinen, aber es ist auch alles andere als die erwartete Enttäuschung oder Götterdämmerung.
4 v. 5 Pkt
Guns N' Roses - Chinese Democracy
Geffen Records, erschienen am 22.11.2008
Genre: Rock